Macht den Kopf frei: Führungskräftetraining auf einer Berghütte im Alpenraum

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Minimalismus: "der einfache Weg " zum großen Glück

Avatar of Sabine Strobel Sabine Strobel - 30. Juni 2021 - Beratung, Frauen, Coaching in Bewegung, Coaching, Resilienz

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Hanna ist glücklich. Sie sagt: „Ich habe alles, was ich brauche. Und was ich nicht habe, brauche ich auch nicht.“ Unsere eigene innere Haltung bestimmt unser Glücksempfinden. Hanna hat sich entschieden, zufrieden zu sein – und zwar mit dem was sie hat. Minimalismus bedeutet für mich Freiheit, Unabhängigkeit, aber auch Luxus. Denn wenn ich über Minimalismus schreibe, heißt das im Rückschluss, dass ich genug habe und wählen kann. Denn ich kann nur etwas weglassen, wenn ich genug habe. Minimalismus ist also Luxus. 

Eigentlich brauchen wir ja auch nicht viel: Ein anerkennendes Lächeln, ein Kompliment einer Freundin, etwas Sonne, ein paar Gleichgesinnte, Freude für eine Sache, offene Augen und ein wenig Wind um die Nase. Und natürlich Natur, für mich sind es vor allem Berge, Wiesen, Almen und kühle, klare Bergseen. Also wenig Materielles. Und doch brauchen wir immer wieder Dinge, die wir eigentlich nicht brauchen: Das neueste Smartphone, die coole Eismaschine, den Zweitwagen, der Dritturlaub, das zehnte Paar Marken-Sneakers. Fast jeder Haushalt besitzt eine Bohrmaschine und benutzt sie nur wenige Minuten im Jahr. Dinge, die man nicht braucht, aber irgendwie besitzen muss, heißen „hathat“. Konsum als Kompensation des eigenen, unglücklichen Seins. Dabei ist es doch viel netter beim Nachbarn zu klingeln, sich die Bohrmaschine kurz auszuleihen und sich mit einem großen Stück selbstgebackenen Kuchen dafür zu bedanken.  

Vergleich ist des Glückes Tod

Es gibt immer Jemanden, der mehr hat, kann und besitzt als ich. Der sich mehr leisten kann als ich. Ich gönne es den anderen, da bin ich großzügig. Wenn ich aber schaue, was die anderen haben, wohin sie verreisen, was sie besitzen, verliere ich das Wesentliche aus dem Blick: mich selbst, meine Fähigkeiten und Bedürfnisse. 

Minimalismus im Besitz macht mich frei von Verpflichtungen und Verantwortung. Wenn ich viel besitze, kann ich auch viel verlieren. Weniger Besitz entlastet und ich schenke mir mehr Freiheit. Ein Gegenpol zu all dem Überfluss an digitalen Möglichkeiten, Informationen, Impulsen und dem Konsum in der heutigen Zeit. 

Diese Fragen sind hilfreich, um den Fokus auf das zu setzen, was ich schon habe:

  • „Welche Fähigkeiten und Talente habe ich?“
  • „Was besitze ich schon alles?“
  • „Wovon können andere profitieren?“
  • „Was kann ich davon abgeben?“ 
  • „Was ist das Mindeste, was ich brauche?“

Dabei ist es doch ganz einfach; siehe Hanna am Anfang dieses Textes. Anne Frank hat es so formuliert: „Solange es dass noch gibt, diesen wolkenlosen blauen Himmel, darf ich nicht traurig sein.“ Gerade in der Pandemie liegt es an vor allem an uns, unserer Haltung und unserer Entscheidung: Ob wir klagen und jammern und uns damit noch tiefer in die Abwärtsspirales des Negativ-Denkens ziehen oder einfach mal schauen, was noch geht. Das Ergebnis: Aktivität statt Passivität. Aber wie geht das? Wie stellt man das am besten an? 

Raus aus der Opferperspektive, rein in die Gestalterperspektive:

  • Schließe mit deiner Vergangenheit ab. Schaue nicht nur in die Zukunft, sondern genieße den Moment im Hier und Jetzt.  
  • Überlege in Krisen, was du daraus lernen kannst und wie du das Thema wohl in fünf Jahren rückblickend sehen wirst. 
  • Zeige nicht auf andere, sondern schaue auf dich und deinen Anteil an der Situation. Was kannst du ändern? Warte nicht, dass sich andere ändern.

Den (Lebens-)Rucksack entlasten

Wenn ich in die Berge gehe, freue ich mich auf frische Luft und einen freien Kopf. Auf den Genuss des Augenblicks. Jedes Stück, das ich in meinen Rucksack packe, muss ich auch tragen können. Jedes Stück macht mich langsamer, schränkt mich ein. Auf was kann ich verzichten? Was ist wirklich wichtig, was kann ich mir leihen und was kann ich mit anderen teilen? 

Wenn ich das Richtige mitnehme, habe ich größere Chancen meine Ziele zu erreichen. Aber was ist das Richtige? Gehen wir in einer Gruppe los, stimmen wir uns vorher ab, wer was mitnimmt. Egoismus hilft auf Dauer nicht weiter. Gemeinsam zu gehen heißt auch zu überlegen, wer was tragen kann. Die Stärkeren hängen das schwere Seil an ihren Rucksack, andere packen ein kleines Notizbuch ein, um Erinnerungen festzuhalten oder eine Tafel Schokolade für alle. 

Profis mit leichtem Gepäck

Bergführerinnen und Bergführer, allesamt Meister ihres Fachs, haben die kleinsten Rucksäcke in den Bergen, obwohl sie alles Wichtige dabeihaben müssen. Auch Speedbergsteiger und Ultraleichtwanderer setzen auf die Minimierung des Ausrüstungsgewichts unter Einbeziehung der Gegebenheiten einer Tour, des persönlichen Know-hows sowie des eigenen Sicherheits- und Komfortbedürfnisses. Und natürlich hat jedes Ding seinen Platz, so dass man es im Notfall sofort zur Hand hat. Der Lohn: Mehr Schnelligkeit, Flexibilität und Freiheit bei ihren Touren. Neueinsteiger erkennt man an ihren riesigen, überdimensionierten Rucksäcken. 

Ich kann mich noch gut an meine erste Bergtour erinnern: Ich habe einen Toastaufsatz für den Kocher mitgeschleppt, sechs Eier im Karton und eine große Flasche Haarshampoo. Aus heutiger Sicht viel zu viel. Jedes Jahr habe ich gelernt, mein Gepäck zu minimieren, freiwillig auf Dinge zu verzichten. Und das tut richtig gut! Dazu braucht es aber auch eine Menge Erfahrung und Mut. Mutig zu sein, weil ich auf Ausrüstungsgegenstände verzichte, die mir (scheinbare) Sicherheit geben. Sich selbstbewusst auf mich und meine Entscheidungen zu verlassen und auch die Verantwortung dafür zu übernehmen, wenn ich mal etwas Wichtiges vergessen habe. 

Was mich glücklich macht? Ein heißer Hochsommertag in den Alpen. Wir sind schon mehrere Stunden unterwegs und gehen jetzt einen langen und steilen Aufstieg in Serpentinen den Berg hoch. Uns ist das Wasser ausgegangen. Ich habe Durst. Die Sonne brennt am Südhang, die Latschen verstärken den Saunaeffekt. Noch mehr Durst. Dann endlich die ersehnte Quelle am Wegesrand: Ich tauche beide Hände in das klare Wasser, lasse es über meine Hände, meine Arme laufen und trinke in großen Schlucken frisches klares Wasser. Köstlich! Wie köstlich kann Wasser schmecken. Wann hattest du das letzte Mal richtigen Durst? Erinnerst du dich noch daran? Wir füllen unsere Flaschen mit dem frischen Quellwasser und ziehen leichtfüßig den Berg hoch. Immer wieder erinnere ich mich an dieses Gefühl, wenn ich zuhause eine Flasche Mineralwasser öffne. Und tatsächlich: Es schmeckt plötzlich ganz anders. Irgendwie viel besser. 

In den Bergen habe ich gelernt, dass es nicht immer etwas zu essen gibt, wenn ich Hunger habe. Wenn ich dann an eine Berghütte komme und dort einkehre – so richtig mit Heißhunger – dann schmeckt es gleich doppelt gut! 

„Verzicht kann einen Menschen erfüllen“, so die These von Reinhold Messner. Verzicht muss für uns etwas Positives werden, einen guten Klang bekommen. Ich fange mit kleinen Schritten an: Brauch ich das jetzt wirklich? Oder kann ich freiwillig drauf verzichten? Vielleicht nur heute, oder diese Woche? Und wie geht es mir damit? Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Ich habe angefangen, freiwillig auf Fleisch zu verzichten. Jetzt mag ich es nicht mehr. Ich habe angefangen, auf Fernreisen zu verzichten. Jetzt entdecke ich meine Umgebung mit wachen Sinnen. Ich habe angefangen, auf Milch zu verzichten. Jetzt genieße ich statt eines großen Latte Macchiattos einen Espresso mit Schaum. Ich habe angefangen, auf negative Gedanken zu verzichten. Jetzt schreibe ich positive Dinge auf und lese sie mir immer wieder durch. Umgebe mich mehr mit Menschen, die mir guttun und immer weniger mit Menschen, die mich anstrengen. Ich verändere mein Verhalten Stück für Stück. 

Vom Müssen zum Wollen

Ist das nun schlimm oder schade, wenn ich das nicht tue oder mir dies nicht kaufe? Wenn wir alle auf einen kleinen Teil dessen, was wir haben können, was wir nutzen können, was wir genießen können, verzichten und uns dabei wohlfühlen? Konsum ist etwas zu brauchen, was ich eigentlich nicht brauche. Vom Verzichten müssen zum Verzichten wollen, gilt auch für unser Verhalten in der Pandemie. Und weg von der Verschwendung, vom viel zu viel. Wir brauchen bewusste Kontrolle über unseren Konsum und einen Überblick über das, was unser Leben ausmacht. Dazu gehört auch Digital Detox, also die Reduktion und der bewusste Entzug des Gebrauchs digitaler Geräte und Medien. Bei der digitalen Entgiftung entziehen sich Menschen der Vernetzung und Erreichbarkeit, wollen Stress reduzieren und sich wieder vorrangig dem echten Leben widmen und den Bezug zur Natur suchen. Ich versuche also ab und zu, einen Tag oder ein Wochenende mal nicht das Handy in die Hand zu nehmen. Erst dann merke ich, wie schwer mir das fällt. Wie automatisch ich danach greife, ohne wirklich etwas zu suchen. Ich setze mir bewusst selbst Grenzen und gebe mir dadurch mehr Sicherheit und Orientierung in einem von Unsicherheit geprägtem Umfeld. 

Minimalismus kann aber noch mehr: Es geht auch um die Reduktion von Komplexität, die Schärfung der Sinne. Am Berg oder in ruhigen Waldstücken mache ich eine Stilleübung mit meinen Klienten. Wir bleiben stehen oder setzen uns hin und machen die Augen zu. „Spitzt eure Ohren!“, sage ich. „Was hört ihr jetzt und was hört ihr nicht mehr?“. Die Fokussierung auf einen einzigen Sinn, das Gehör. Am Anfang für drei Minuten, später dann auch mal fünf Minuten. Was für eine lange Zeit! Was man plötzlich alles hören kann! Was man vorher alles überhört hat! Die Fokussierung auf einen Sinn kann man trainieren. Kein Wunder, dass das sogenannte „Waldbaden“ sich positiv auf unsere Psyche, unser Gemüt und unser Wohlbefinden auswirken kann. Also einfach mal ausprobieren.

Was bedeutet also Minimalismus?

Da lohnt ein kurzer Blick in den Rückspiegel des Lebens: 

  • Was durfte ich schon alles Erleben? Mit Freude blättere ich in alten Tagebüchern und schaue mir alte Fotos an. 
  • Wofür bin ich dankbar? Für meine Gesundheit, meine Partnerschaft, meine Kinder, für meinen kleinen, aber feinen Freundeskreis.
  • Wie viele gute Jahre hatte ich schon? Jeder Geburtstag macht mir das bewusst.

Mit diesen positiven Gedanken und dieser Haltung gelingt es auch besser, sich auf Dinge zu freuen, die man schon lange nicht mehr machen konnte oder auf eine Reise, die jetzt endlich ansteht. Aber bevor es soweit ist, schaue ich auf die kleinen Dinge des Alltags. Fokussiere mich darauf und freue mich darüber. Mit ein bisschen Übung gelingt das ganz gut, auch wenn es einem am Anfang vielleicht komisch vorkommt. Es schärft das Bewusstsein für den Augenblick und die Dankbarkeit. „Ich freue mich, wenn es regnet, denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch.“ (Karl Valentin)

Fazit: Finde deinen eigenen Weg

Jeden, den ich gefragt habe, was bedeutet für dich Minimalismus, hatte eine ganz eigene Antwort darauf, eine individuelle Definition für sich gefunden. Da gibt es keinen pauschalen Weg, keine Empfehlung. Aber alle hatten eines gemeinsam: Minimalismus und ehrlicher Verzicht wirken befreiend, machen zufriedener und selbst-bewusster. Frage dich einfach in regelmäßigen Abständen: „Was brauche ich wirklich?“, „Wer oder was ist gerade wichtig für mich?“, „Wovon möchte ich mich verabschieden und auf was kann ich verzichten?“ Mache deinen (Lebens-)Rucksack leichter, trennen dich von Dingen, Menschen und Situationen, die dir nicht guttun und du wirst belohnt mit dem guten Gefühl, für dich den richtigen Weg gefunden zu haben. Ein Gefühl der Zufriedenheit. Wie bei Hanna.

Sabine Strobel …

ist psychologischer Coach, Führungskräfte-Trainerin und Bergwanderführerin mit Büros in Hannover und Garmisch-Partenkirchen. Sie arbeitet mit Einzelpersonen und Führungsteams und ist beim Coaching in Bewegung (Coach2go) viel zu Fuß unterwegs. In ihren Trainings, Coachings und Workshops legt die Diplomredakteurin Wert auf die praxisnahe Umsetzung psychologischer Modelle im beruflichen Alltag. Sie hat zehn Jahre in einer Krankenkasse gearbeitet und weiß als psychologischer Coach, dass die eigene Einstellung die Gesundheit und das Glücksempfinden stark beeinflussen kann.

Kontakt: www.strobel-coaching.de

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